ES IST (NICHT) ALLES IN ORDNUNG

Auch im größten Chaos, auch wenn wir das große Ganze nicht (immer) sehen, wir dürfen dennoch vertrauen: ES IST ALLES IN ORDNUNG.

Alle Gefühle sind willkommen, aber nicht alle Gefühlsäußerungen, Reaktionen oder Aktionen sind okay. Auch im größten Chaos, auch wenn wir das große Ganze nicht (immer) sehen, wir dürfen dennoch vertrauen: ES IST ALLES IN ORDNUNG.

Grundlegend ist alles in Ordnung, auch wenn es vielleicht nicht so aussehen mag, sich nicht so anfühlen mag. Alle Gefühle sind grundlegend in Ordnung, dürfen da sein, müssen da sein dürfen – es ist alles andere als “nachhaltig”, Gefühle zu unterdrücken. Sie dürfen sich äußern, denn es ist nur gesund, sie wahrzunehmen, anzunehmen. Wenn nicht: Sie sind dennoch da und bahnen sich irgendwann den Weg nach außen, und bis dahin können sie richtig schön im Innen rumoren, köcheln, blockieren.

Manchmal hast du vielleicht das Gefühl: Die Welt ist in Unordnung, ungerecht, unberechenbar, bedrohlich, voll von Leid. Und ja, zur Balance gehören “Freud’ und Leid”, so wie Tag und Nacht zusammengehören, Sonne und Mond. Ob wir das nun mögen, das eine wie das andere – so ist das Leben eben, das macht es lebendig. Und es liegt an uns, das Erlebte, Wahrgenommene zu interpretieren, zu integrieren, und wir können entscheiden: Bewerte ich etwas negativ oder positiv oder neutral? Wie stelle ich mich innerlich zur Welt – fließe ich mit ihr oder bin ich dagegen, im Widerstand? Hadere ich mit dem Vergangenen, fürchte ich das Kommende? Mag ich den Moment, wie er ist?

Wie erlebst du das: Stehst du gerne morgens auf, gehst abends gerne schlafen? Oder möchtest du immer noch lieber länger aufbleiben, noch kurz etwas lesen, schnell noch das fertigschauen …, und am Morgen quälst du dich aus dem Bett? Wie so viele von uns. Falls das für dich der Fall ist: Wir können schöne Rituale schaffen, das Schlafengehen besonders schön gestalten, uns dafür zur rechten Zeit ausreichend Zeit nehmen, den Übergang zelebrieren und genießen. Die Sonne geht unter, wir gehen ins Bett – und das kann sich so gut anfühlen. Und, Überraschung, nach einer Zeit der Umgewöhnung wachen wir am Morgen erholt und irgendwann sogar gerne auf. Die Sonne geht auf, was für eine Freude, mit ihr aufzustehen, den Tag zu beginnen. Die Umstellung kann mit bewussten Gedanken, gewählten Worten beginnen: Ich darf ins Bett gehen, ich darf aufstehen. Eine kleine Veränderung im Innen, mit womöglich großer Wirkung.

Das ist nur ein simples Beispiel. Wir kommen nicht aus, es ergibt keinen Sinn, die Nacht nicht zu mögen, den Tag nicht zu mögen, sich zu sperren gegen natürlich Rhythmen, in Polaritäten das eine vor dem anderen zu favorisieren: Wenn du die Nacht nicht magst, das Ausruhen nicht magst, wird dein nächster Tag nicht halb so gut, wie er sein könnte. Wenn wir immer “müssen”, haben wir das Gefühl, nichts zu dürfen, das Leben wird anstrengend, wir leiden. Und meist machen wir äußere Umstände für unser Leiden verantwortlich: den Wecker, Arbeitszeiten, den Chef, die Freundin, den Partner, das miese Leben eben. Wir leiden am Leben. Weil wir irgendwann (wahrscheinlich unbewusst) entschieden haben, dagegen zu sein, zumindest so ein bisschen, zumindest misstrauisch.

Wie wäre es, wenn wir uns bewusst entscheiden, dafür zu sein? Oder zunächst neutral. Zunächst davon ausgehen, dass alles in Ordnung ist, so passt, wie es ist. Unsere Wahrnehmung ist getrübt durch (Erinnerungs-)Filter, unsere “Brille”, unser verschmiertes, verzerrendes Fenster zur Welt. Unbearbeitete, unreflektierte Erfahrungen prägen unsere Weltsicht. Wir wurden einmal-zweimal-xmal so richtig enttäuscht? Dann werden wir immer wieder Enttäuschung wittern, erwarten. Dabei vergessen wir, wie oft wir nicht enttäuscht wurden. Negative, schmerzhafte Erfahrungen sind in unserem Gedächtnis “größer” als positive, freudige Erfahrungen. Was (evolutionär) durchaus sinnvoll ist: Wir versuchen, Gefahr zu vermeiden, wir lernen aus Erfahrungen. Wir wünschen uns Angenehmes, Wohlbefinden, wollen kein Leid, keinen Schmerz, wollen kein Risiko eingehen. Und deshalb sind wir wachsam – betrachten unsere Mitwelt misstrauisch, sind auf der Hut – und damit angespannt. Jederzeit könnte etwas Schlimmes passieren. Was uns vergessen lässt, dass auch etwas Schönes geschehen könnte. Oder das das vermeintlich Schlimme eigentlich eine Chance sein könnte, Schönes zu erfahren, oder die Aufforderung, aktiv etwas zu verändern.

Wenn ich die Nacht nicht meide, sogar begrüße, angemessen (schlafend) nutze und genieße, wird der nächste Tag umso strahlender. Wenn ich mich auf das Dunkel einlasse, kann ich das Helle umso mehr genießen. Der Kontrast wird vielleicht zunächst stärker, Schwarz und Weiß – aber erlaube ich mir, vermeintlich negative Gefühle zu fühlen, wie Angst, Trauer, Wut, erlebe ich im Gegensatz dazu Positives umso intensiver: Freude nach dem Schmerz. Im Vergleich zum Dunklen wird das Helle heller.

Aber es geschieht noch etwas anderes: Ich erkenne die Verbindung, sehe die Übergänge, Zusammenhänge. Ich erlaube mir, (vermeintlich) Negatives zu fühlen, und gerade das erlaubt mir, wahre Freude, (fast mal) pure Positivität zu erleben. Ging es dir im Leben schon mal so richtig schlecht? Und wenn du da durch bist, deinen Frieden damit gefunden, deine Gefühle dazu geklärt hast und jetzt darauf zurückblickst: War es nicht eigentlich eine wichtige Erfahrung? Ein Beispiel aus meinem Leben: Ich war mit 13-14 Jahren magersüchtig und habe wohl bis etwa 21 gebraucht, mich gesund einzupendeln. Heute, fast 20 Jahre später, bin ich enorm dankbar für diese Erfahrung, jeden Tag wieder dankbar für meine “Normalität”, für die wahrhaftige, tiefe Freude über meinen ziemlich gesunden Körper, obwohl ich ihn/sie so schlecht behandelt habe, für Nahrung, die Welt, das Leben. Damals wollte ich nicht leben, nicht im Körper, nicht Teil dieser Welt sein, ich wollte mich “verdünnisieren” – und die Heilung hat gedauert, hat mich aber auch zu mir und zu (womöglich nie perfekter, aber doch sehr lebenswerter) Gesundheit geführt. Heilheit. Ganzheit. Ich bin mit dem großen Ganzen im Frieden, zufrieden. Ich kann ein (leichtes) Hungergefühl genießen, umso mehr das Stillen des Hungers genießen. Das eine bedingt das andere. Ich wäre nicht halb so glücklich, ich wäre nicht ich, hätte ich nicht diese tatsächlich sehr schwierige Zeit erlebt und mir die Zeit gegeben, sie zu überwinden, zu verarbeiten, anzunehmen. Wahrscheinlich findest du Beispiele in deinem Leben, vielleicht nicht in dieser Größenordnung, aber erleben können wir das alle, ständig. Zum Beispiel: Wir haben eine Erkältung, fühlen uns weniger fit als gewohnt, können aber hoffentlich erst die Zwangspause und danach die Rückkehr der Gesundheit umso mehr genießen (bis wir die Erkältung vergessen haben und damit auch die Wertschätzung des gewohnten Okayen). Das Ausruhen(-Müssen) war nicht das Problem, sondern heilsam, die Lösung. Wir können unserem Körper dankbar für solche Signale sein: Nase zu, Nase voll, wovon auch immer – bitte ausruhen, und alles ist wieder in Ordnung.

Die “Krankheit” hat ein anderes Übel geheilt, zumindest kurzfristig: das Missachten von kleineren Signalen, die anzeigen, dass nicht alles in Ordnung ist, dass wir zum Beispiel immer wieder über den Punkt der Erschöpfung hinaus weiterarbeiten, länger aufbleiben, aus natürlichen gesunden Rhythmen aussteigen. Tag – Nacht, Hunger – Essen, Funktionieren – Ruhe. Wir brauchen beides, Balance. Wenn wir ständig die Balance stören mit Handlungen und (inneren) Haltungen, geschieht etwas Größeres, welches das Gleichgewicht wieder herstellt. Im griechischen Theater hat man diese “Gewalt” deus ex machina* genannt – ist die Situation völlig verfahren, greift von irgendwoher, von außerhalb eine höhere (göttliche) Macht ein und bringt die Dinge wieder in Bewegung, in Ordnung. Übermenschlich, diese Macht, diese höhere Ordnung. Wir verstehen sie nicht immer. Wir verstehen nicht, dass eine Katastrophe, eine Krise, eine Krankheit auch gut sein kann. Für Veränderung gut sein kann, Gleichgewicht und Ordnung wiederherstellen kann.

Ich habe das oft genug gesehen, erlebt, verstanden, meine ich (manchmal). Ich glaube daran (meistens). Wir alle dürfen glauben, was auch immer wir wollen. Wir dürfen schauen, wo unsere Überzeugungen, unsere Glaubenssätze und damit unsere Wahrnehmungsfilter und die Reaktionen auf das Wahrgenommene, das (für uns) vermeintlich Wahre, uns und anderen schaden. Leiden schaffen. Freude nehmen.

Deshalb, noch einmal zurück: Alle Gefühle sind in Ordnung und willkommen, sie sind wichtige Wegweiser zurück zum Gleichgewicht, wir sollten sie einerseits ernst nehmen – und andererseits relativieren: Es sind unsere Gefühle, unsere Reaktionen auf das, was wir meinen zu sehen, zu erleben. Sie sind nicht die (einzige) Wahrheit. Es gibt so viele “Wahrheiten” wie Wesen auf dieser Welt. Manchen von uns gelingt es, bewusst(er) zu werden, unsere Brille abzusetzen oder zumindest ab und an die schmutzigen Scheiben zu putzen, um klarer zu sehen, und daraus resultierend auch umsichtiger zu handeln, in Gedanken, Worten und Taten. Dazu müssen wir bereit sein hinzusehen, auch die Schatten, das Schmerzhafte zu sehen, ins Licht zu holen, selbst wenn wir das Dunkle lieber im Keller des Unbewussten lassen wollen – aber nur so können wir es integrieren, ganz, heil werden. Es tut nur kurz weh, und schmerzhaft ist vor allem unser langer zäher Widerstand, und der darf sich auflösen, wie sich Dunkles im hellen Licht aufhellt und vielleicht löst. Und deshalb ist es auch wichtig, dunkle Gedanken nach “oben” zu bringen, auszusprechen, zumindest still und leise, ganz für uns, und/oder auch wohlformuliert zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Adressaten – als ein: Ich habe den Gedanken XY, ich fühle mich xy … Ohne Anklage gegen die Welt, es sind unsere Reaktionen auf womöglich Wahres. Wir sind verantwortlich für unsere Gedanken, Gefühle, für unsere Interaktionen mit der Welt. Am besten sind es bewusste Aktionen, keine getriebenen Reaktionen.

Und so sind zwar alle Gefühle, nicht aber alle Gefühlsäußerungen gleich gut. Es ist wichtig, Gefühle zu kommunizieren. “Ich habe Angst”, “Ich fühle mich verletzt” … Solche Sätze, eine Offenheit im Umgang mit Gefühlen solltest du dir und anderen zugestehen, eingestehen. Beziehungen profitieren von Ehrlichkeit, sie leben von Freundlichkeit (ziemlich banal, natürlich basieren Freundschaften auf Freundlichkeit, Liebesbeziehungen auf Liebe – hoffentlich), oder nenn’ es Liebe oder Liebenswürdigkeit. Hier dürfen wir immer wieder einen Kompromiss finden zwischen absoluter Freundlichkeit und absoluter Ehrlichkeit: Es ist nicht immer freundlich, die Wahrheit zu sagen, es kann aber für die Freundschaft, für deine*n Freund*in wichtig sein, die Wahrheit zu hören – beispielsweise um (wenig förderliches) Verhalten zu überdenken, vielleicht zu verändern -, und für dich, deine Wahrheit zu sagen, auf angemessene Art und Weise, wertschätzend. Es ist nicht okay, aufgrund von eigenen Gefühlen unbedacht gegen andere zu handeln, ob nun in Form von Handlungen im eigentlichen Sinne, Taten, oder in Form von Worten oder Gedanken.

Auch wenn grundlegend alles in Ordnung ist, nicht alle Handlungen sind gleichermaßen okay. Gewalt ist nicht okay. Nicht gegen dich selbst, nicht gegen andere. Wenn du bedroht bist, natürlich: Du solltest dich wehren, bestimmt sein, dich, deine Grenzen verteidigen. Dabei kommt es wieder auf das Wie an. Was wir von traditionellen Kampfkünsten lernen können: Lenke die Energie der/des Angreifenden elegant zu ihm/ihr zurück. Sei ein (möglichst sauberer, neutraler, freundlicher) Spiegel. Greife selbst nicht an. Sei dir bewusst: Wir sind alle angreifbar. Wann immer du handelst: Jemand wird sich womöglich angegriffen fühlen, auch wenn das niemals deine Absicht war. Wir sehen nie alles, leider. Betrachte alles und alle, die anderen, dich, in Ruhe, möglichst freundlich und neutral: Woher kommen (aus jemandes Sicht) nicht-okaye Handlungen? Was hat dazu geführt, was war wohl die Absicht? Lass dir möglichst immer diese Zeit, bevor du handelst, am besten schon bevor leise Gedanken zu lauten Worten werden. Was für den einen in bester Ordnung erscheint, sieht aus einer anderen Perspektive zumindest unordentlich, unverständlich aus, ist für die andere womöglich nicht okay. Das ist okay, darüber kann freundlich und offen gesprochen werden. Davon profitieren Beziehungen.

Verzeihe dir und anderen (vermeintlich) nicht-okaye Handlungen. Sag: “Ich habe mich verletzt gefühlt. Deine Handlung hat mir geholfen, meine Verletzlichkeit, diese vermeintliche Schwäche zu sehen. Ich möchte dich wissen lassen, dass du die Macht hast, mich zu verletzen. Bitte mache nur sehr bewusst, am besten keinen Gebrauch davon.” Dann dürfte und sollte wieder alles okay sein. Lass die Gefühle los. Zeit für Umarmungen. Echten Frieden, nicht nur an der Oberfläche.

So können wir Zwischenmenschliches in Ordnung bringen: beobachten ohne gleich zu reagieren, annehmen, was ist, relativieren: Es ist nur unsere Wahrnehmung, sind nur Gefühle, die von unseren Erfahrungen und Erwartungen gefärbt sind, alles verändert sich sowieso ständig. Und wir können im Kleinen schauen, dass unser Beitrag zum Weltgeschehen ein förderlicher, friedlicher ist.

Und was ist nun mit der großen Unordnung? Mehr denn je fehlt uns wohl in dieser merkwürdigen Zeit der Überblick, ein Verständnis des Zusammenhangs der verwirrenden Einzelheiten, Zahlen, (vermeintlichen/scheinbaren) Fakten, fehlen uns Aussichten, Planbarkeit, Sicherheit. Was bleibt uns da? Vertrauen. In die Wissenschaft? Ja, auch. In das Gute im Menschen – das Ärzt*innen ihren Beruf wählen, Pflegepersonal durchhalten, Verkäufer*innen freundlich bleiben hat lassen. Vertrauen in eine gute Ausrichtung des “großen Ganzen”, eine höhere Ordnung, die wir von unserem eingeschränkten Aussichtspunkt nur punktuell erkennen können – je tiefer wir in unserer Angst, Wut, Verzweiflung … stecken, desto weniger sehen wir über diesen Gefühlstellerrand hinaus. Was da hilft? Vielleicht ein Waldspaziergang. Naturbeobachtung. Bewusst atmen.

Ich hatte in Erinnerung, dass Eckhart Tolle in A New Earth etwas über (Un-)Ordnung schreibt, und obwohl ich recht unordentlich sein kann, habe ich sein Buch in meinen Stapeln gefunden und auch gleich das schöne Kapitel “Chaos and Higher Order” gefunden. Mit einem Zitat daraus ist für hier und jetzt dann auch Schluss – lass es dir gutgehen im Chaos, sei mehr dafür als dagegen und glaub doch auch, wenn du magst, an die Möglichkeit einer ‘neuen Erde’.

Behind the sometimes seemingly random or even chaotic succession of events in our lives as well as in the world lies concealed the unfolding of a higher order and purpose. This is beautifully expressed in the Zen saying “The snow falls, each flake in its appropriate place.” We can never understand this higher order through thinking about it because whatever we think about is content; whereas, the higher order emanates from the formless realm of consciousness, from universal intelligence. But we can glimpse it, and more than that, align ourselves with it, which means be conscious participants in the unfolding of that higher purpose.

When we go into a forest that has not been interfered with by man, our thinking mind will see only disorder and chaos all around us. It won’t even be able to differentiate between life (good) and death (bad) anymore since everywhere new life grows out of rotting and decaying matter. Only if we are still enough inside and the noise of thinking subsides and we become aware that there is a hidden harmony there, a sacredness, a higher order in which everything has its perfect place and could not be other than what it is and the way it is.

Weiß nicht, ob meine ungeordneten Gedanken irgendwas erhellen – ich teile sie jedenfalls gerne (und ordne vielleicht noch ein wenig hinterher :))

Alles Liebe!

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